Wer kennt das nicht, die Augen gerieben, die Ohren geknetet, eine Gähner folgt dem nächsten aber sobald es ins Bett geht, ist die kleine Maus wieder hellwach und voller Entdeckerlust. Und das, obwohl doch heute Abend der Yoga Kurs ist oder du mit deinem Partner endlich mal einen Abend auf dem Sofa verbringen wolltest. Es scheint so, als würden die Kleinen es wissen – Mama hat was vor und das ist spannender als ins Bett zu gehen;) Und es ist tatsächlich ein bisschen so: sie wissen was los ist. Sie sind nämlich quasi lebendige Gedankenleser. Falls sie es alles aussprechen könnten, was sie wissen, wir bräuchten keine Lügendetektoren erfinden, sie könnten uns jede kriminalistische Recherche ersparen. Warum ist das so? Es hat etwas damit zu tun, dass es evolutionär von wahnsinnigem Vorteil war die Absichten der Eltern oder die der Personen zu kennen, auf die die Kinder angewiesen sind. Jetzt ist es so, dass je kleiner die Kinder sind, um so mehr sind noch sehr sehr alte Gehirnregionen dominant und diese „denken“, dass wir noch in der Steinzeit leben. Natürlich leben wir dort nicht mehr und fragen uns: warum verhalten sich Säuglinge so. Ein einfaches Beispiel: in Zeiten, wo wir noch ohne sichere Häuser und Städte lebten (und das ist noch gar nicht so lange her) war es für die Kinder überlebenswichtig, dass sie wussten, was ihr Umfeld dachte und plante. Als wir damals zusammen saßen und so vor uns hin lebten, war es wichtig wachsam zu sein, ob irgendwo eine Gefahr lauert. Wenn sich eine Gefahr abzeichnete, war es wichtig, dass die Kinder sich bemerkbar machten, damit sie nicht zurückgelassen werden, falls ihre Eltern und die anderen aufspringen und losrennen. Dadurch bildeten die Kinder evolutionär ein sehr feines Gespür für die Anspannung ihrer Fürsorgepersonen und die Verhaltensweisen, die auf eine „Abreise“ hindeuteten.
Was Pipimachen mit Politik zu tun hat
Wie eine vierjährige am Beispiel „Pippi machen“ die aktuelle Politik erklärt
und
was Politiker:innen von angeleckten Busstangen lernen können…
Wenn ich meine Tochter (jetzt vier) anschauen, schießt mir Hochachtung durch den Körper. Diese Selbstverständlichkeiten, Leichtigkeit und Offenheit für den Moment lässt mich staunen und wundern. Alles was sie dazu braucht ist ein sicherer Rahmen, in dem sie das Gefühl hat, dass sich alles bewältigen lässt, dass jemand da sein wird und ihr helfen wird. Kurzum, pädagogisch gesprochen: sie hat (Uhr)Vertrauen, dass Unterstützung da ist, dass das Leben gut ist, dass die Aufgaben, die das Leben stellt, zu bewältigen sind. Was daraus resultiert: Entdecker-Geist, Neugier, Spiel, Offenheit. All das führt zu unkontrollierten Handlungen, weil nur dann die Neugier, die Kreativität da ist. Perfekter Nährboden also für innovative Ideen und Lösungen.
Von außen wirkt es mit einem ängstlich rational einen Blick jedoch mitunter bizarr. Der Gedanke einer vierjährigen: „Wenn ich diese Haltestange im Bus anlecke, werde ich mit allen Krankheiten klarkommen, die daran kleben. Die Erfahrung zu wissen, wie diese Stange schmeckt ist mir das wert.”
Jetzt kommt meine elterliche Frage: Wo ist die sagenumwobene Grenze zwischen nützlichem Vertrauen und innovativer Offenheit, zu Leichtsinn und Kurzfristigkeit? Meine (erwachsene) Fähigkeit aus der Erfahrung für die Zukunft ableiten zu können ermöglicht mir sehr wahrscheinliche zukünftige Katastrophe abzuwenden.
Folgende potentielle Katastrophe: Meine Tochter hat zwei Gläser Saftschorle zum Frühstück getrunken und wir machen uns eine Stunde später auf dem Weg in die Stadt. Sie: „Mama ich muss nicht Pippi!“ Ich: „Klar, jetzt noch nicht aber später“. Meine Fähigkeiten sie zu motivieren aufs Klo zu gehen sind für dieses Mal kleiner als ihr Vertrauen, dass sie später einen Ort zum Pippimachen findet. Was sie nicht berücksichtigt: wir fahren länger U-Bahn als ihre Fähigkeit einzuhalten – so meine wissenschaftliche, erfahrungsbasierte Einschätzung (Grundlage sind hier selbstverständlich repräsentative Studien meines Alltages).
Und hier kommen wir auch schon zur Politik! Das Ungleichgewicht, dass ich dort -zwischen kindlicher Klo-Autonomie und elterlicher Wissenschaft – wahrnehme, ist genau das. Entscheidungen sind zeitlich betrachtet vom Frühstück bis vor die Tür gedacht, die Auswirkung dauern dann aber für den ganzen Weg durch die Stadt an.
Die Wissenschaftler, die den großen Bogen im Blick haben, sagen deutlich, die Entscheidung die wir (aka. Die Politik) jetzt treffen, sind nicht nachhaltig. Die Wahlperiode ist die Zeit bis vor die Tür, die Auswirkungen gehen aber bis zur Arktis und in die Lebenszeit der nächsten Generation.
Ich kann heute die deutsche oder europäische Wirtschaft retten, damit wir weiter Saftschorle frühstücken können und missachte dabei, dass ich damit weiter ein System erhalten, dass nur vom Frühstück bis vor die Tür denkt.
Liebe Politiker:innen, was wir brauchen – sorry was ihr braucht – ist (Ur)Vertrauen in die
Menschen und das Gemeinwohl – das wohlwollende Miteinander und Vertrauen in die Fähigkeiten der Bürger:innen. Traut euch voller Offenheit und Neugier Macht abzugeben.
Lasst uns mit Bürger:innenversammlungen eine neue Zeit einläuten, in der wir unter Berücksichtigung der Wissenschaft und der Menschen Zukunft leben, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit leben.
Das kann unsere Zukunft sein!